Westfälische Neueste Nachrichten vom 1. November 1920



Zusammenbruch der Kleinbahnen?

Kreistag in Dornberg

K. Dornberg, 29. Oktober
In dem freundlich gelegenen Kirchdorfe fand heute nachmittag in der Gastwirtschaft „Zum Lindenhof" ein Kreistag des Landkreises Bielefeld statt, an dem unter dem Vorsitz des Landrats Dr. Beckhaus 22 Kreistagsabgeordnete teilnahmen. Den Beratungen ging eine Besichtigung der Zechenanlagen in Dornberg voraus. Die tagesordnung wurde dann wie folgt abgewickelt:

400 000 Mark für die Dornberger Zeche

Aufnahme einer weiteren Anleihe von 400 000 Mark für die Kohlenzeche Dornberg.
Der Vorsitzende gab zunächst einen Überblick über den bisherigen Verlauf der Angelegenheit und betonte dabei, daß Bergwerksdirektor Hobendahl, der bekanntlich die durchaus unzulängliche Pumpe eingebaut habe, gerade auf dringenden Wunsch von Herford als Sachverständiger angenommen worden sei. Herford sei auch später gar nicht damit einverstanden gewesen, daß Hobendahl ausgeschaltet wurde. Die in einer Versammlung der Demokratischen Partei gefallene Behauptung, Oberingenieur Loens habe die Pumpe sofort für untauglich erklärt, sei nicht zutreffend. (Siehe die Erklärung von Herrn Loens an anderer Stelle dieser Nummer. Die Red.) Die angestellten Berechnungen haben ergeben, daß bei einem Anlagekapital von 3 Millionen Mark der Preis der Kohle sich auf etwa 13,50 bis 15 Mark ab Zeche stellen würde. Die Stadt Bielefeld habe ihren Anteil mit 800 000 Mark bereits bewilligt. Wenn Herford ablehne, so sei es auf Grund der Bestimmungen des allgemeinen Berggesetzes genötigt, seinen Anteil den anderen beiden Gewerken zur verfügung zu stellen. Ein Verkauf der Grube (?) an einen Dritten sei vertraglich nur mit Zustimmung der anderen Gewerken möglich.
Nach kurzer Erörterung wurde die Vorlage einstimmig angenommen.

Die Finanznot der Kleinbahn

Aufnahme eines Darlehns von 300 000 M für die Kleinbahn zur Ergänzung eines Baufonds usw.
Aufnahme eines Darlehns von 300 000 M für die Kleinbahn zur Gründung eines Betriebskapitals.
Aussprache über die Weiterinbetriebbehaltung der Kleinbahn.

Landrat Dr. B e c k h a u s: Die Inbetriebhaltung der Bahn, die mit einem erheblichen Fehlbetrag arbeitet, ist wiederholt Gegenstand eingehender Beratungen im Kreisausschuß gewesen. Die Kleinbahn ist von jeher ein Schmerzenskind der Kreisverwaltung gewesen; hat sie doch in den 19 Jahren von 1901 bis 19199 Zuschüsse in Gesamthöhe von 1 279 162 Mark erfordert. In den Kriegsjahren, besonders 1918 war mal eine vorübergehende Besserung zu verzeichnen. Inzwischen kamen aber höhere Löhne und Materialkosten sowie der achtstündige Arbeitstag, sodaß im Jahre 1919der Fehlbetrag auf 152 000 Mark stieg und für das laufende Jahr haben wir bekanntlich einen Zuschuß von 300 000 Mark in den Etat eingestellt. In einer Besprechung, die kürzlich zwischen Direktor Paul, Landrat v. Borries und mir in Herford stattgefunden hat, wurde der Fehlbetrag angesichts der auf Grund Tarifabkommens steigenden Gehälter der Kleinbahnbeamten auf 150 000 Mark geschätzt. Infolgedessen haben wir uns im Kreisausschuß gesagt, daß der Kreis derartige Kosten auf Dauer nicht tragen könne und da kommen nach unserer Überzeugung nur zwei Wege in Betracht. Entweder wir versilbern das ganze Material oder der Betrieb wird weitergeführt. Mit einer Stillegung erreichen wir nichts, da wir dann immer noch etwa 25 Beamte besolden und Ausgaben für Überwachung machen müssen, was rund 250 00 Mark im Jahr kostet. Nach einer Schätzung von Direktor Paul würden wir aus dem gesamten eingebauten Material, den Betriebsmitteln und den Gebäuden etwa 5 ½ Millionen Mark lösen, denen etwa 2 ½ Millionen Mark einschl. Grund und Boden buchmäßig gegenüberstehen. Wir würden alle, vorausgesetzt, daß keine Schadenersatzansprüche kämen, rund 3 Millionen Mark übrig behalten, die mit 5 Prozent angelegt, dem Kreis eine jährliche Einnahme von 150 000 Mark bringen würden. Dazu käme dann der ausfallende jährliche Fehlbetrag von 300 000 Mark, sodaß ein solcher Verkauf der Bahn eine Verbesserung der Finanzen des Kreises um 450 000 Mark bedeuten würde. Im Kreisausschuß waren wir uns vollkommen klar darüber, daß die Stillegung der Bahn für viele Kreiseingesessene eine außerordentliche schwere Einbuße sein würde; andererseits ist aber nicht zu verkennen, daß die Stillegung manche Teile unserer Nachbarkreise Halle, Herford, Wiedenbrück viel schärfer treffen würde, als den Kreis selbst. Demgegenüber sagt sich der Kreisausschuß, daß es nicht unsere Aufgabe ist, anderen Kreisen mit unseren Mitteln zu helfen. Die Arbeitgeber der Stadt Bielefeld, deren Arbeiter die Bahn vielfach benutzen, scheinen der Bahn verhältnismäßig wenig Interesse entgegen zu bringen, nach meinen Informationen ist es ihnen ziemlich gleichgültig, ob die Bahn stillgelegt wird oder nicht.
Der Kreisausschuß glaubt doch noch einen Versuch machen zu sollen. Wenn sich nach dem Dreivierteljahrsabschluß eine weitere Verschlechterung herausstellt, und wir andererseits aus unseren Steuerquellen weniger herausbekommen, als wir angenommen haben, dann wird uns, wenn auch schweren Herzens, nichts anderes übrig bleiben, als die Bahn zu versilbern. Wie uns geht es fast allen Bahnen. Die Westfälische Landeseisenbahn hat ein Defizit von 5 Millionen Mark und sie kann nicht weiterarbeiten, wenn ihr nicht geholfen wird. Sie steht auf dem Standpunkt: Heraussetzung der achtstündigen Arbeitszeit oder Abschaffung des Betriebes. Auch unsere Kleinbahn leidet gewaltig durch die schematisch angewandte achtstündige Arbeitszeit. Wir als Kreis sind nicht in der Lage, einen betrieb auf die Dauer aufrecht zu erhalten, von dem Nachbarkreise mehr haben, als wir selbst. Wenn wir jährlich 450 000 Mark zuschiessen sollen, dann werden wir, so leid es uns auch tut, die Bahn aufgeben müssen.
Direktor P a u l begründete zunächst die von der vorstehend geschilderten Finanznot der Bahnen unabhängigen beiden Vorlagen des Kreisausschusses, erklärte sich aber zufrieden, wenn statt der für den Baufonds geforderten 300 000 Mark zunächst nur die sofort benötigten 100 000 Mark bewilligt würden.
Zur Frage des Weiterbetriebes der Bahn führt Direktor Paul dann aus: Von den 1 279 000 Mark, die der Landkreis in 19 Jahren für die Kleinbahn als Zuschuß geleistet hat, sind 470 086 Mark abzurechnen, die zur Tilgung der Anleihen verwendet worden sind, sowie weitere 335 925 Mark, die in den Rücklagefonds für Erneuerungen geflossen sind. Die letzteren sind bis auf rund 100 000 Mk verbraucht. Der Zustand unserer Bahn ist im Gegensatz zu dem der Staatsbahn und vieler Kleinbahnen ein guter. Als verlorener Zuschuß bleiben demnach für die 19 Jahre rund 500 000 Mark. Das Jahr 1920 schließt allerdings erheblich ungünstiger ab, doch geht dies allen Betrieben so. nach meiner Aufstellung, in welcher ich die Ziffern des zweiten Halbjahres 1920/21 schätzungsweise eingesetzt habe, dürfte der Personenverkehr im Jahre 1920 nur um etwa 7 Prozent hinter dem des Jahres 1919, der 11 Prozent besser war als 1918, zurückbleiben. Etwas unsicher ist der Güterverkehr. Seit Mitte Juni d.J. war ein erheblicher Rückgang zu verzeichnen. Ende September machte sich aber eine erfreuliche Zunahme bemerkbar, die sicher anhalten wird. Alles in allem glaube ich, daß ich mit meiner Schätzung der Betriebseinnahmen mit 1 710 000 Mark für 1920 sehr vorsichtig gewesen bin. Dem ständen an Betriebsausgaben unter Ansetzung der tarifmäßigen Gehälter 1 780 000 Mark gegenüber, was einen Betriebsausfall von 70 000 Mk ergibt. Dazu kommen 60 800 Mark Rücklage in den Erneuerungsfonds, 47 000 Mark für Tilgung und 100 000 Mark für Verzinsung, sodaß wir an einen Fehlbetrag von 277 800 Mk kommen, den ich auf 300 000 abgerundet habe.
Eine große Zahl Kleinbahnen wird in allernächster Zeit gezwungen sein, den Betrieb einzustellen, ein Teil hat dies bereits getan. Vom Reich und Staat ist keine Hilfe zu erwarten - (Auf eine Anfrage betr. Übernahme der Brohltalbahn hat der Reichsverkehrsminister geantwortet, daß für das Reich keinerlei Verpflichtung besteht, Privatbahnen zu übernehmen oder sie zu unterstützen; dies sei viel mehr Sache der Länder. Inwieweit das Reich sich an einer Hilfsaktion der Länder beteiligen könne, müsse besonderer Prüfung vorbehalten bleiben. Die Red.) Meines Erachtens muß das Ergebnis des laufenden Jahres erst abgewartet werden. Wenn der Verkehr nicht erheblich heruntergeht, sind infolge der Tariferhöhung viel höhere Einnahmen zu erwarten, als bisher und es kann schon deshalb nicht ohne weiteres angenommen werden, daß der nächstjährliche Zuschuß noch höher wird. Anfang März wird der neue Voranschlag vorliegen, dann würde zu überlegen sein, ob die Bahn wiederum ein Jahr weitergeführt werden oder ob der Kreis dem Verkauf oder der Stillegung nähertreten soll.
Der Vorsitzende ( = Dr. Beckhaus, CB) bemerkte, daß nach der Überzeugung des Kreisausschusses weitere Tariferhöhungen nicht am Platze sind, da schon jetzt viele Landwirte ihre Erzeugnisse wieder per Achse beförderten.

Im Anschluß an diese Darlegungen kam es zu einer eingehenden Aussprache.
Kreistagsabg. O h e r m e y e r - Gadderbaum wies darauf hin, daß aller Voraussetzung nach die beiden Jahre 1920 und 1921 mit voraussichtlich 700 000 Mark den gleichen Zuschuß aufzubringen habe, wie in den ganzen Jahren vorher. Die Kleinbahn komme nur verhältnismäßig wenig Einwohnern des Kreises zugute. Rund die Hälfte aller Passarten - also etwa 200 000 - sei auf die Stadt Bielefeld zu rechnen. Diese würde also die Einstellung der Bahn als einen großen Nachteil empfinden. Wenn wir auch heute nicht endgültig die Stillegung oder den Verkauf entschließen so erscheine es doch angesichts der Finanzlage dringend nötig, Schritte einzuleiten, die ein Aufgeben der Kleinbahn möglich machen.
Kreistagsabg. v. M ö l l e r - Brackwede äußerte sich in ähnlichem Sinne, ebenso Kreistagsabg. H ö h n e - Sieker, der darauf hinwies, daß die Kreisvertreter einer Schraube ohne Ende nicht zusehen könnten. Wenn es in vormalen Jahren nicht möglich gewesen wäre den Betrieb einigermaßen auskömmlich zu gestalten, so sei in Zukunft überhaupt nicht daran zu denken. Eine Tariferhöhung habe nie das gebracht, was man davon erwartet habe. Den Nachbarkreisen, die den größten Nutzen von der Bahn haben, wird es gar nicht einfallen, auch nur einen Pfennig an dem Defizit beizusteuern. Am ungünstigsten arbeitet die Strecke Heepen - Eckendorf. Nach Lage der Verhältnisse müssen wir sparen, wo es nur möglich ist.
Kreistagsabg. M o p s h o l d (?) wies darauf hin, daß bei einem Stillegen der Bahn Jöllenbeck vom Verkehr vollständig abgeschnitten werde. Im übrigen koste das Ausreißen der Schienen usw. auch Geld und es sei die Frage, ob man das Material gleich los werden würde.
Kreistagsabg. W i n d e l - Windelsbleiche meinte, daß die Stadt Bielefeld bei dem Interesse, den die Bahn für sie habe, vielleicht für eine Unterstützung zu haben sei. Zu berücksichtigen sei übrigens auch, daß der Kreis im Falle der Aufrechterhaltung des Betriebes in nächster Zeit zweifelsohne größere Aufwendungen machen müsse, wofür die im Erneuerungsfonds noch vorhandenen 100 000 Mk. ganz und gar nicht genügen.
Kreistagsabg. H i l d e b r a n d t - Schildesche wandte sich gegen eine Verlängerung der Arbeitszeit: eine Rentabilitätsverbessserung der Bahn auf Kosten der Arbeiter sei nicht angängig. An ein Interesse der Stadt Bielefeld an dem Kreisbahnverkehr glaube er nicht.
Kreistagsabg. M o p s h o l d (?) - Schildesche schlug vor, dahin zu streben. Daß die Kleinbahn vom Zweckverband übernommen werde oder die Eingemeindung energisch zu fordern, dann kriege Bielefeld wenigstens die Hälfte der Lasten.



Wiedergabe des Artikels aus den "Westfälischen Neuesten Nachrichten"
mit freundlicher Genehmigung der Zeitung NEUE WESTFÄLISCHE

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