Entwicklung der Kleinbahnen in Ostwestfalen-Lippe
Ab 1847: Fernbahnstrecken verbinden die Städte
Die Region Ostwestfalen-Lippe erhielt 1847 mit der Eröffnung der Fernbahnstrecke Köln-Minden (-Hannover) Anschluss an das Deutsche Eisenbahnnetz. In den folgenden Jahren wurden nur Hauptrecken mit überregionaler Bedeutung gebaut: 1856 wurde von Löhne die Strecke nach Rheine eröffnet, 1875 folgte von Köhne die Verbindung durch das Wesertal nach Hameln. Mit den Strecken Herford-Detmold-Altenbeken (bis 1895) und Osnabrück-Halle-Bielefeld (1886) war in Ostwestfalen-Lippe ein Netz von regelspurigen Haupstrecken entstanden, das die wichtigsten Orte miteinander verband.
Zugleich wuchs bei der Industrie und in der lokalen Politik der Wunsch nach weiteren Strecken. Streckenbaukommitees machten weitere Vorschläge, die aber von der Preußischen Staatsbahn nicht umgesetzt wurden. Aus deren Sicht waren weitere regelspurige Strecken nicht wirtschaftlich zu betrieben. Hier boten sich schmalspurige Bahnen an: Sie waren einfacher und billiger zu bauen.
1889: Die erste Schmalspurbahn: Die Erzbahn der Union
Die erste Schmalspurbahn in Ostwestfalen-Lippe war eine nicht-öffentliche schmalspurige Industriebahn: 1889 eröffnete die "Union Aktiengesellschaft für Bergbau, Eisen- & Stahlindustrie, Dortmund", kurz "Union" genannt, die meterspurige Erzgrubenbahn Porta-Kleinenbremen. Diese Bahn war für den Abtransport des Erzes aus der Grube Kleinenbremen dringend erforderlich und wurde von der "Union" gebaut und betrieben.
1892: Das "Preussische Kleinbahngesetz"
1892 vereinfachte das Preußische Kleinbahngesetz den Bau und Betrieb von Eisenbahnen, nun konnten Bahnen als "Kleinbahnen" betrieben werden. Diese Gelegenheit nutzte der Georgs-Marien-Bergwerks- und Hütten-Verein aus Osnabrück und baute seine Erzbahn als öffentliche Kleinbahn: 1897 wurde die Wallückebahn eröffnet. Bei einer Spurweite von 600 mm und einfachster Bauweise war diese Bahn als Grubenbahn äußerst rentabel, aber nicht ausbaufähig.
Nach 1892: Der Kleinbahn-Boom in Ostwestfalen
Das preußische Kleinbahngesetz gab den Wünschen der Politiker in den Kreisen Bielefeld, Herford und Minden neue Nahrung: Es wurden umfangreiche Streckennetze geplant und zu großen Teilen dann auch gebaut:
- Den Anfang machte 1893 die Strecke Minden-Porta der Mindener Straßenbahn Gesellschaft. Sie betrieb eine Ausflugsbahn zum Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta, die später von der Straßenbahn Minden übernommen wurde.
- Der Landkreis Minden setzte seine Kleinbahnpläne zügig um und eröffnete schon 1898 die erste Strecke der Mindener Kreisbahnen.
- Die Landkreise Herford (Herforder Kleinbahnen, eröffnet 1900) und Bielefeld (Bielefelder Kreisbahnen, eröffnet 1901) gingen zunächst gemeinsame Wege und betrieben ihre die Bahnen bis 1934 gemeinschaftlich.
- Im Kreis Höxter kamen die Planungen nicht recht in Gang. Mehrere Kleinbahnprojekte wurden geplant und durchfinanziert - zu einem tatsächlichen baubeginn konnte man sich nicht durchringen. Daraufhin übernahmen zwei Zementwerke in Höxter die Initiative und bauten eine knapp 4 Kilometer lange Anschlussbahn und betrieben sie unter dem namen Höxtersche Kleinbahn.
Nach dem ersten Weltkrieg: Elektrischer Betrieb
Der nächste Entwicklungsschritt war die Einführung des elektrischen Betriebes:
- Schon vor dem ersten Weltkrieg sollte die Sudbrackbahn der Bielefelder Kreisbahnen als elektrische Anschlussbahn gebaut werden. In der Region Herford wurde das Projekt einer Straßenbahn "Bünde - Herford Innenstadt - Salzuflen - Schötmar" weit vorangetrieben, aber nicht gebaut.
- Die bestehenden Straßenbahnnetze in Paderborn und Detmold wurden bis bis 1922 durch die PESAG übernommen: Sie baute ein großes Streckennetz in Lippe auf, wählte dafür aber die einfachste Betriebsform: Ihr Streckennetz wurde als elektrische Überland-Straßenbahn betrieben.
- Der Bau der Extertalbahn von 1927-29 nutze die Vorteile des elektrischen Betriebes, mit dem erheblich stärkere Steigungen überwunden werden konnten. Die Blütezeit der Schmalspurbahnen war zu diesem Zeitpunkt schon vorbei: Um Güter nicht von den Schmalspurfahrzeugen umladen zu müssen, war die Bahn sofort in Regelspur gebaut worden.
In den dreißiger Jahren: Die Bahnen gegen verschiedene Wege
Die Jahre nach dem ersten Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise waren für die meisten Kleinbahnen finanzielle Krisenjahre. Der Ausbau der Strassen und der aufkommende LKW-Verkehr brachten den meisten Bahnen einen Rückgang der Transportmengen. Ab den 30er Jahren entwickelten sich die Kleinbahnen in Ostwestfalen-Lippe in verschiedene Richtungen:
- Die kleine Höxtersche Kleinbahn war völlig vom Frachtaufkommen der beiden Zementwerke abhängig. Die Schließung der Werke im jahr 1931 bedeutete das Ende der Bahn: Zum Jahresende 1932 wurde der Betrieb eingestellt und die Bahn bald danach abgebaut.
- Der Betrieb der Wallückebahn war nach der Stillegung des Erzverkehrs im Jahr 1923 stillgelegt worden. Den Gemeinden entlang der Strecke gelang eine Neueröffnung. Trotz sparsamster Betriebsführung war der verbleibende Personen- und Güterverkehr zu gering. 1937 wurde die Bahn ein zweites Mal stillgelegt - diesmal endgültig.
- Bei der größten Schmalspurbahn, den Mindener Kreisbahnen entschied sich der Kreis Minden für eine schrittweise Umspurung der Schmalspurstrecken. Diese Modernisierung sicherte den Betrieb der Bahn für die nächsten Jahrzehnte.
- Die Herforder Kleinbahnen wurden von 1929-1933 elektrifiziert. Weitere Veränderungen im Streckennetz (Anbindung der Herforder Innenstadt) und die angedachte Umspurung unterblieben in den kommenden Jahren.
- Bei den Bielefelder Kreisbahnen hatte das Scheitern der Ausbaupläne Richtung Bad Salzuflen die Bahn in den 20er Jahren finanziell schwer getroffen. Dazu kam ein nachlassendes Interesse des Landkreises an seiner Bahn. Damit kam die Entwicklung der Bahn zum Stillstand.
In den Fünfziger Jahren: Das Ende der klassischen Kleinbahnen
Während des zweiten Weltkrieges und in den ersten Nachkriegsjahren kamen auf die Bahnen zusätzliche Transportaufgaben zu. Die Bahnen erbrachten mit ihren alten Fahrzeugen und Anlagen Höchstleistungen. Zu Beginn der 50er Jahre änderte sich die Lage in wenigen Jahren und es kam durch den konkurrierenden LKW-Verkehr zu erheblichen Einbrüchen beim Frachtaufkommen.
- Die Mindener Kreisbahnen konnten sich nach der Umspurung weiter halten. Erst in den 70er Jahren kam es zu den ersten Streckenstillegungen.
- Die Bielefelder Kreisbahnen wurden in den 50er Jahren Opfer der langjährigen Gleichgültigkeit des Landkreises Bielefeld. Nach über 50 Betriebsjahren war die Bahn abgewirtschaftet und wurde bis 1956 stillgelegt.
- Die Überlandstrecken der PESAG konnten sich gegen den wachsenden PKW-Verkehr nicht halten. Der spärliche Verkehr reichte nicht aus, um 80 Kilometer Strecke zu unterhalten. In den 50er Jahren wurden die Überlandstrecken aufgegeben, der Stadtverkehr in Paderborn endete im Jahr 1963.
- Die Herforder Kleinbahnen modernisierten Anfang der 50er Jahre ihren Personenverkehr und wurden als letzte Schmalspurbahn in Ostwestfalen-Lippe erst 1966 stillgelegt.
Die weitere Entwicklung
- Die Extertalbahn konnte im Extertal erstaunlich viele Güterkunden gewinnen. Der Personenverkehr wurde in den 60er Jahren aufgegeben. Dagegen hielt sich der Güterverkehr im Extertal lange jahre recht gut. Dazu hat sicher die Verbindung mit einer eigenen LKW-Spedition beigetragen. Die Extertalbahn ging aktiv auf mögliche Frachtkunden zu und konnte immer wieder neue Verkehre gewinnen. Den allgemeinden Trend zur Abwanderung von der Schiene konnte die Extertalbahn jedoch nicht aufhalten - im Jahr 2003 endete der Güterverkehr auf der Schiene auch im Extertal.
- Die Mindener Kreisbahnen konnten auf ihrem Streckennetz neue Kunden gewinnen und legten die Strecken mit geringem verkehrsaufkommen still. Die MKB hat als einzige Kleinbahn in Ostwestfalen-Lippe den Sprung ins 21. Jahrhundert geschafft und ist unter dem Namen mkb als Esenbahn-Verkehrsunternehmen (EVU) weiter am Markt.